Kolumne Sascha Herrmann | Nr 9

Sascha Herrmann – Kolumne Nr. 9

Kilometergeld

Hallo Dragracer,

da es aufgrund der Inzidenzen-Konsequenzen erst in ein paar Wochen mit den nächsten Rennen losgeht, haue ich doch solange noch mal eine Kolumne raus.

Als ich Anfang März mal wieder abends in Zerbst auf der Suche nach Nahrung herumgurkte, kam mir die Frage: Wieviel Kilometer hat man eigentlich während eines Rennens schon zurückgelegt? „402 Meter“ werdet Ihr jetzt irritiert antworten, aber das meine ich nicht. Auch nicht das vorgeschriebene Herumgondeln auf öffentlichen Straßen in der legendären SE-Serie. Ich meine, die Kilometer, die man während des Rennwochenendes abseits der Strecke zurücklegen musste, weil etwas fehlte, etwas schiefging und so weiter. Ihr kennt das alle: Man kalkuliert den Diesel für die An- und Rückreise, ein paar Kanister Rennsprit und evtl. noch ein paar Liter, weil man im Dorf noch ´ne Wurst kauft, das war´s. Aber meistens kommt es anders.

Das Drama fing schon bei meinem ersten Rennen 2008 in Aldenhoven bei der EFR an. Wer kann denn schon ahnen, dass ein Rennwochenende aus gleich zwei Tagen besteht und nach dem Samstag tatsächlich der Sonntag folgt? Und das auch noch mit einer Siegerehrung mit echten Pokalen und Küsschen! Ich war etwas überrascht, als man mir mitteilte, dass ich nochmal wiederkommen sollte am nächsten Tag. Da ich nicht in einem leergeräumten Polo 86c mit einem Sprit/Öl/Sauerstoff-Atemluftgemisch ähnlich dem Maschinenraum der Titanic nächtigen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, die 100 km Wuppertal-Aldenhoven und zurück gleich zweimal zu fahren. Und zwar mit dem Renner auf eigener Achse inklusive des viermaligen Reifenwechsels. Ich habe mir damals geschworen:“ Das machst Du nicht nochmal.“ Ich habe es bis zum Ende von Aldenhoven 2019 so gemacht… Und Beate auch. Da Polo und Lupo keine Rückbank oder Fahrersitz drin hatten, musste sie mir bei dem Hin-und-Her mit hinterherfahren. 100 Kilometer in meiner Ethanolfahne. Sie vermutet, dass ihr irgendwann ein zweiter Kopf wächst.

Aber es ging noch schlimmer. Aus viermal 100 km kann man durchaus auch sechsmal 100 km machen. Einestages ließen wir den Polo in Aldenhoven stehen, fuhren mit dem frischgekauften BMW nach Hause und kehrten mit diesem sonntags zurück zur Strecke. Fünf Minuten vor dem Restart stellt ich dann fest, dass ich den Poloschlüssel zu Hause auf der Couch liegengelassen hatte. Besonders spannend ist das, wenn man dann noch so renngeil ist, dass man den G40 direkt in Polo-Pole-Position unterm Christbaum geparkt hat, damit man direkt als Erster starten kann. Peinlich nur, wenn man dann noch nicht mal in sein Auto reinkommt und alle blockiert. Dass ich dies als Moderator noch selbst kommentieren musste, machte das Wochenende zu einem echten Erlebnis.

2016 verabschiedete sich dort meine Kopfdichtung und ich beschloss bereits samstags mit dem kaputten Auto abzureisen. Als ich Sonntagmorgen erfuhr, dass ich auf Platz 1 stand, dieser aber noch nicht save sei, riss ich halt nochmal die 200 km mit dem kaputten Auto ab und legte nochmal ´ne Zehntel nach. Reichte. Es blieb in den EFR Anfangsjahren sowieso selten bei den Anfahrtskilometern. Teile, die einem beim Rennen um die Ohren flogen wurde kurzerhand bei Ebay-um-die-Ecke ersteigert und sofort abgeholt. Preis egal. Die Karre muss laufen. Nachdem sich in Aldenhoven die Rumpfgruppe meines Laders beim Burn Out in sich erbrach, führte mich die Suche nach einem frischen Turbo irgendwo ins holländische Vodafone Netz. Der neue Propeller jaulte nicht mehr wie ein alter Hund und brachte Platz 1.

In Mariensiel beim Jade-Race stellte ich fest, dass meine Einpresstiefe der aufgezogenen Rennfelgen nicht mit den neuen Bremsbelägen harmonierte und Ebay-Kleinanzeigen führte mich an der Nordsee entlang.

Bei EFR Brilon landete ich irgendwo in einer Scheune im Nirgendwo, um ein neues Getriebe abzugreifen und überhaupt waren unendlich viele Fahrten zum 500 km entfernten Getränkemarkt in Brilon City notwendig, weil die Währung auf der Viertelmeile für das Ersatzteil X grundsätzlich ein Kasten Bier ist.

Ach Brilon… eigentlich 140 km Anreise, aber das hat auch nie richtig geklappt. Auf dem Weg dorthin stellte ich 2015 schon nach wenigen Kilometern fest, dass nach Getriebewechsel Nr.6 (Das Scheunengetriebe war übrigens Nr.4) etwas Öl auf die Sintermetallkupplung gekommen sein musste. Sie rutschte. Was also tun? Umkehren? Ich entschloss mich, sie freizufahren und darauf zu hoffen, dass die paar Tropfen sich bis zum Track verflüchtigt haben. Taten sie nicht. Mit immer noch rutschender Kupplung beschloss ich in der Anmeldeschlange von Brilon wieder zu drehen und den Lupo zu holen. Nochmal 280 km. Am Montagabend packte die Kupplung übrigens wieder im Polo…

Weitere Kilometer in Aldenhoven wurden fällig, als ich im Vorstart stand und nicht nur meine Position in der Hubraumklasse mies war, sondern auch die meines Nierensteines. Man glaubt gar nicht, wieweit Krankenhäuser in Notfällen entfernt sein können.

Da ich verwöhnter Schnösel grundsätzlich in Hotels schlafe, werden ja immer Extra-Kilometer fällig. Das kann auch schon mal ausarten. Wer bei 1on1 Motorsports im Internet nicht aufpasst und „Flugplatz Bad Sobernheim“ eingibt (richtig ist natürlich Pferdsfeld), landet auf einem 25 km entfernten falschen Flugfeld. Wenn man dann ein Hotel im Umkreis von maximal 25 km von diesem Ort auswählt, kann sich der Weg vom Frühstücksraum um 8.30 Uhr morgens zur Fahrerbesprechung um 9 schnell mal auf 50 km summieren.

Halbe Stunde für 50 km? Sollte doch für einen frisierten G40 Turbo kein Problem sein. Da habt Ihr drei Sachen vergessen: Die schmalen Waldpisten á la Transsilvanien mit zig Gabelungen und Ortsdurchfahrten, wo einem wütende Bauern die Mistgabeln hinterherwerfen, drosseln deutlich. Nicht nur meine Stimmung fiel in ein Loch, sondern auch meine Funkanbindung. Navi? No! Und darf man natürlich nicht vergessen, dass Frau sich grundsätzlich ernährungstechnisch für den Tag komplett eindecken möchte. In den 50 km ist natürlich auch der Satz „Jetzt suchen wir erstmal einen Lidl“ inkludiert. Ich denke, Ihr wisst nun, warum ich mein Auto vor dem Start nie warmlaufen lassen musste.

Handy- und Tankstellennetz stressten dort gleichermaßen. Da mein E85-Gemisch mindestens 102 Oktan Zusatz erfordert, bin ich dann abends auch mal für zwei Stunden verschwunden. Bei meiner Suche driftete ich irgendwie Richtung Frankreich ab. Gesperrte Landstraßen führten auch oft zu Zusatzkilometern. Ihr erinnert Euch an die Sperrung der Piste zur A71 in Alkersleben? Oder die Sperrung der B436 beim Jade-Race? Oder auch das Umfahren der Polizeikontrolle in Meinerzhagen? Das Navi rechnete jedes Mal um und packte 30 Minuten drauf.

Meist hatte ich mir die sinnlosen Kilometer allerdings selber zu verdanken. Wer bei den Nitros erst zwei Tage vorher ein Hotel bucht, darf sich nicht darüber wundern, wenn er fast in Stuttgart schläft. Und 100 Kilometer nach Wesel zu fahren, um sich einen Anhänger für‘s Rennen zu leihen, um ihn dann doch unbenutzt zurückzubringen, da man keine brauchbaren Gurte hatte, ist schon etwas wirr. Beruhigend nur, dass auch andere Starter überflüssige Kilometer fahren. Vor allem in der Audi Fraktion, ich nenne keine Namen. Und immer stammten sie aus dem Dortmunder Raum. Ein S2-Fahrer hatte bei der technischen Inspektion beim Jade-Race Probleme, da ihm die Rückbank fehlte als Tankabdeckung. Er holte sie mal eben aus Herdecke. Hin und zurück 600 km… Ein anderer 20V Turbo Fahrer hatte die DMSB Lizenz zu Hause liegen lassen. Auch hier: 600. Auf die Idee dann ersatzweise eine Wochenend-Lizenz herunterzuladen für 20 Euro kam leider niemand mehr.

In Bitburg machte sich dann die Freundin eines Audi 80 Fahrers auf den Weg zurück in den Ruhrpott, um schnell ein Ersatzgetriebe heranzuschaffen: 500 km. Das Problem in Bitburg war auch immer das parallel stattfindende 24-Stunden-Rennen am Nürburg Ring. Also: Tagsüber ballern bei Silke und nachts Party am Ring… 200 km pro Nacht.

Überhaupt darf man touristische Triebe am Rennwochenende nicht unterschätzen. Man sollte in Begleitung der besseren Hälfte herumliegende Sightseing-Broschüren an der Rezeption besser in Sicherheit bringen. Beim Jade-Race war der Besuch des Marinemuseums fällig und bei den Airport Days Anklam ging es dann mit dem kompletten Gespann nach Usedom rüber. Ist ja eine schöne Insel. Da lobe ich mir doch den Weg nach Zerbst. Hier wurden alle Sehenswürdigkeiten an die A2 herangeklöppelt.

Autostadt Wolfsburg? Mitgenommen.

Alte Grenzanlage Marienborn? Tempomat kann drin bleiben!

Elb-Auen? Ein kurzer Schlenker durch Magdeburg muss reichen.

Martin-Luther-Museum Eisleben beim ACAB Allstedt? Hach, es ist ja noch Zeit bis zur Siegerehrung…

Ja, man hat schon viele Kilometer abgerissen, die nicht geplant waren. Vielleicht fallen Euch nun selber Irrfahrten abseits der Strecke ein, dann haben wir ja beim nächsten Mal im Fahrerlager was zum Klönen.

Bis dahin,

Eurer Sascha

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