Sascha Herrmann / Kolumne Nr.6

DRAGMAG – Kolumne Sascha Herrmann

Teil 6: Zettelwirtschaft

Hallo liebe Dragracer,

erstmal danke, danke, danke, dass Ihr mein noch amateurhaftes in der Garage gedrehtes Meilenmagazin „402 Germany“ bei youtube so gut angenommen habt. Außer aus Anklam und Zerbst   konnte ich dieses Jahr dank Corona leider noch nicht viel vom Strip berichten,  die Stimmung ist negativ und alle fragen sich nur eins:

„Was findet überhaupt noch statt dieses Jahr?“

Es ist genug darüber diskutiert worden, vielleicht schaffe ich es ja Euch wenigstens zum Schmunzeln zu bringen, ich habe mal ein paar Stilblüten ausgegraben. Gerade das Zeitnahmefiasko in Anklam und Zerbst – für das in beiden Fällen der Veranstalter nichts konnte – hat mir wieder klargemacht, was eigentlich für die Fahrer neben ihrem Auto und der Strecke das wichtigste ist: DER TIMESLIP.

Mit ihm steht und fällt der Erfolg des Wochenendes. Des Projekts. Des Teams. Autos wurden schon verkauft, weil die heiligen Zahlen auf dem Zettel nichts Gutes verhießen.

Diese Sätze geben etwa die Tragweite eines Timeslips wieder, ihr würdet lieber Eure Geburtsurkunde verlieren, als den Timeslip mit eurer Rekordfahrt.

Nach dem Lauf will man ihn einfach.

Man versucht die Neugier und Anspannung etwas aufzufangen. Man hat ja schließlich vorgesorgt. Die Performance Box lief mit und liefert erste Werte, Kumpel hielt mit Videokamera drauf und ruft sofort an, aber das ist alles unbefriedigend. Die Box hat immer eine Abweichung von 0,1 Sekunde, der Kumpel hat bei dem Lärm die Durchsage der Nachkommaziffern nicht gehört und die verwackelten Videoaufnahmen der Timeboards zeigen… Hinterköpfe!! Kennt ihr Leute, die euch erfreuen mit solchen Aussagen wie: „Du bist X,XX Sekunden gefahren. Kann aber auch Bahn 2 gewesen sein.“

Darf man die töten?

Es bringt alles nichts: Timeslip muss her!

Bei der Ausgabe der Timeslips gibt es zwei Kategorien von Fahrern:

Die Angespannten, die auf eine gute Zeit hoffen,

und die unansprechbaren Zombis mit starrem Blick, die schon einmal in ihrem Leben einen Timeslip-GAU erlebt haben und einfach nur beten, dass sie überhaupt irgendetwas gültiges ausgehändigt bekommen. Diese Menschen hatten eines der folgenden Erlebnisse:

  • Bei einigen Rennen werden die Timeslips an Wäscheklammern am Brett aufgehängt. Der eigene fehlt. Er kommt nicht. Auch nach Stunden nicht. Vermisstenanzeige beim Veranstalter bleibt ohne Ergebnis.
  • Die Timeslips liegen in Waschkörben, der Gegner hat beide Ausfertigungen mitgenommen.
  • „Wir können gerade nicht drucken, der Server hängt.“
  • „Wir können gerade nicht drucken, der Server hängt.“
  • „Wir können gerade nicht drucken, der Server hängt.“
  • „Wie können gerade nicht drucken, der…“… Ja, ihr steht bereits zum vierten Mal hier. J
  • Oder es läuft alles glatt, ihr bekommt den Zettel sofort, aber bereits 0,00 Sekunden auf der 60-Fuß verheißen nichts Gutes und mit 0 km/h im Ziel ist es bittere Gewissheit: Fehlmessung.

Der Timeslip kann auch der einzige physische Beweis in den eigenen Händen sein, um Einspruch gegen eine falsche Platzierung einzulegen. Kennt ihr den Alptraum eines jeden Veranstalters bei der Siegerehrung? Zufriedene Fahrer bekommen ihre Pokale überreicht und mitten in die Glückseligkeit platzt er hinein: Der übergangene, ausgebotete, vom System in eine falsche Klasse gesteckte Fahrer, der seinen Bestzeit-Timeslip wie ein Schwert mit ausgetrecktem Arm in den Himmel hebt und mit schnellen Schritten erst auf den Moderator zuläuft und dann die Stimme erhebt: „Moment mal, hier stimmt was nicht!!!“ Kennt Ihr diese Momente? Ähnlich wie in der Kirche, wenn der Pastor fragt, ob jemand etwas gegen die Ehe einzuwenden habe.  Ich gestehe an dieser Stelle, dass ich als Streckensprecher jedesmal aufs Neue bete, dass niemand nach vorne kommt. Ich werde nie den bärtigen Motoradclub aus der Schweiz vergessen, der gleich drei Pokale von mir forderte, in einer Klasse, von der auch der Veranstalter noch nie gehört hatte. Sie richteten ihre Timeslips wie Pistolen auf mich.

Und Timeslip ist nicht gleich Timeslip. Es gibt Zeitenzettel, die die Seriosität eines Bierdeckeltestaments ausstrahlen. Ohne Namen. Ohne Uhrzeit. Kassenzettelpapier. Wären nicht wichtige Daten darauf zu lesen, würden sie auch als Flyer an der Windschutzscheibe durchgehen. Dabei verkünden diese Blätter doch das Schicksal. Es soll Autokäufer geben, die nicht das Scheckheft, sondern einen aktuellen Timeslip sehen wollen. 

Wie wohltuend war es, als man auf der Rückführung in Jade von den 2×2-Meter-Männern in Rot die amtlichen DHRA-Urkunden überreicht bekam. Allein das Wappen und die farbliche Abstimmung dieses Dokuments vermittelte die Ernsthaftigkeit einer Notarbeglaubigung. Bundesschatzbriefe sind Klopapier dagegen. Man weiß sofort: Dieser Timeslip wird auch auf dem NKungu Dragway in Obervolta anerkannt.

 Die Frage nach einem solchem Zeitenzeugnis schlug Harry Herzau in Zerbst mit seiner gewohnt anhaltinischen lässigen Art nieder: „Wir fahren hier Rennen, wir sind keine Buchhalter.“

Bei Harry gibt es den DIN4-Tageszettel mit allen Läufen, dafür ist der aber auch randvoll, weil man 30mal starten kann.

Überhaupt gab es früher diverse Möglichkeiten den Timeslip mitzugestalten. Bei den ersten Rennen der EFR 2008 musste der Fahrer hinterher die Fahrzeuge selber auf dem Wisch nachtragen. Namen? Hase! Immerhin wurde überhaupt etwas gedruckt. 2007 erhielt ich Kugelschreibernotizen, aber es wurde sogar mein Gegner notiert: “Bernd“. Aha. Die Szene war wohl noch klein.

Unvergesslich auch die selbstklebenden Timeslips bei Race@Airport. Gustl, warum? Die Public Fraktion könnte den Zeiten-Aufkleber evtl. vorne auf die Motorhaube ihres getüvten Boliden kleben, damit sich der Schuppo in der Kontrolle unnötige Fragen sparen kann. Wenn die Vmax auf der Achtelmeile die eingetragene Höchstgeschwindigkeit im Fahrzeugschein übertrifft, ist das Interview schnell beendet.

Tatsächlich kommen manche Veranstaltungen durch ihr Konzept auch komplett ohne Timeslips aus. Die Rolling-50 von Meinerzhagen bietet aufgrund ihrer aus der Fahrt heraus startenden Teilnehmer sowieso keine Vergleichbarkeit der Zeiten zu anderen Rennen, wobei zwei Sekunden weniger immer gut klingen. Meine Wenigkeit hält die Protagonisten hier durch ständige Durchsagen auf dem Laufendem.

 Auch der AC Ascheberg konnte auf das gedruckte Papier verzichten, schließlich wurden alle gefahrenen Zeiten minütlich im großen Ergebniszelt auf dem Scoreboard mit Filzstift eingetragen. Gemütlich und spannend war das. Im dichten Gedrängel konnte man sein Abrutschen im Ranking live mitverfolgen. Börsenfeeling. Um noch einmal meine Platzierung im Liveticker zu sehen, müsste ich es schon in den Internet Stream von Santa Pod schaffen.

Die Street Outlaws im US Fernsehen lassen das Zielfoto an der Achtelmeilen-Taschenlampe entscheiden. Keine Zeiten, keine Timeslips, kein Scheiß?

Bei den Hotwheelz Husum gab es zwar Timeslips, aber nur für Menschen ohne Altersweitsichtigkeit. Die Schrift war so klein, dass der Fahrer quasi schon durch einen Sehtest auf Fahrtauglichkeit überprüft  wurde.

Und der legendäre historische 9-Nadler von 1on1 Motorsports machte einem unmissverständlich klar, dass jeder Rekord auch vergänglich ist. Nach drei Tagen in der Buchse war die Schrift weg.  

Wer hat den nun die besten Timeslips?

Es ist meiner Meinung nach tatsächlich die EFR. Umfangreicher geht es nicht. Neben Namen, Fahrzeug und Motorisierung erfährt man zu seinen Meilendaten auch die Bestzeit seiner Klasse, die Durchschnittszeit jener und alles natürlich Dragracelist-tauglich.  

Zeitweilig war sogar ein Foto vom Auto auf dem Timeslip. Fälschungssicher, unbestechlich. Fehlte nur noch das Konterfei von Nico.

Natürlich ist das alles auch Geschmacksache. Aber in einer Sache sind wir uns einig: Der schönste Timeslip ist immer der mit der persönlichen Bestzeit. Da stören nicht mal die Redbull-Flecken.

Wir sehen uns,

Euer Sascha

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