Kolumne Sascha Herrmann | Teil 7

Sascha Herrmann – Kolumne Nr. 7

Der Wilde Osten – Teil 1

Hallo Dragracer,

ich bin geflohen. In den Osten.

Nicht vor Euch wegen meiner lausigen Tonqualität in „402- Germany“, sondern vor Corona.

Im Westen ist bis August alles abgesagt und so waren alle meine Rennen 2020 bisher in den neuen Bundesländern. Fast wäre noch Merseburg dazugekommen, Zerbst und Parchim werde ich dieses Jahr auch nochmal besuchen. Wer Rennen fahren will, muss als Wessi dieses Jahr rübermachen.

A24 statt A42! Allstedt statt Aldenhoven! Und – Achtung schlechtes Wortspiel – Rosslau statt Pferdsfeld (ich brech ab-der Editor).

Die Kasseler Berge als neuer Lebensmittelpunkt und die Wachtürme von Marienborn grüßen mittlerweile schon freundlich, wenn ich vorbeifahre. Und ich hätte schwören können, als die Teilnahme am Rennen im Juni nur Einwohnern Sachsen-Anhalts erlaubt war, dass Ex-Vopos hier im Ausguck der ehemaligen Grenzanlage saßen, um mich abzufangen. Wie vor 40 Jahren, nur andersrum.

Wer sich auf den Weg in den Wilden Osten macht, muss psychisch sehr stark sein.

Man wird zwar am Ende mit geilen Veranstaltungen belohnt und Menschen, die das Herz am rechten Fleck tragen oder einen herzlos verblasen, aber der Weg ist hart.

OK, 700 km bis Anklam ist weit, aber Santa Pod ist ja auch nicht um die Ecke. Allerdings wird man in der Ex-Zone mit paradiesischen Highspeed- Autobahnen geködert, mit Geraden, auf denen eine 747 landen könnte. Mit Steilkurven, die man voll anfahren kann und wo nur die winkenden Zuschauer im Mercedesrondell fehlen. 300 km/h? Jederzeit! Und nun die erste Reife(n)prüfung: Man hat den Hänger hinten dran. Ahhhh!

Nachdem man sich dann ein, zwei Stunden gewundert hat, wieviel teilweise sehr schöne Landschaft dort sinnlos in der Gegend herumliegt, wartet dann eine böse Überraschung auf einen, sobald man die Autobahn verlässt. Man hat beim flüchtigen Blick aufs Navi gesehen, dass man nur noch drei Dörfer passieren muss, dann ist man da. Während jedoch bei uns zwischen den Kaffs maximal drei Kilometer liegen, sind es im Osten mindestens 20 Kilometer jedes Mal. Verdammt, wie weit ist das denn noch?

(Hier ein Video aus Allstedt, von saschas „402 Germany“ Kanal bei Youtube).

Und wehe, man hatte die falsche Boxenstrategie und verlässt sich auf die Tankstellensuche bei Google. Die Einträge sind so aktuell wie Honeckers Hemden und man landet auf einem Schrottplatz und wegen der oft falschen Information „24h geöffnet“ lernt man Gegenden kennen, die man nie sehen wollte. Sollte man wie ich, Hotels nicht nach lukullischen Aspekten, sondern nach finanziellen auswählen, muss man sich bei Adressen wie Bahnhofsweg 3 oder Mühlengasse 4 im Klaren sein, dass man die ganze Blüte sozialistischer Straßenbaukunst kennenlernt. Löcher wie der Mariannengraben, Asphaltwellen Marke St. Andreas Spalte und Kopfsteinpflasterkatastrophen, das einem Hören und Sehen vergeht. Die Normung der Straßenbreite und Bordsteinhöhe scheint einer besonders launigen Spielart zu folgen. Der Bauingenieur in Eisleben muss jedenfalls einen verdammt miesen Tag gehabt haben. Dass mein Hänger umkippt, war aber nie die Gefahr. Wie auch, wenn zwischen links Hauswand und rechts Autoreihe nur 2 Meter sind.

Besondere Würze erhält die Gurkerei noch, wenn einen schon in Dortmund die Birne des linken Blinkers am Hänger verlassen und man ab der Autobahn die Polizei hinter sich hat. Ich weiß nun, dass man alle linksliegenden Orte grundsätzlich auch durch dreimal Rechtsabbiegen erreichen kann. Das einzige, was einen links liegen lässt, ist die örtliche Dorfjugend. Man muss nicht meinen, dass man ein Hingucker ist, wenn man mit einem beklebten Lupo Turbo hintendrauf am belebten Tankstellentreff vorbeiflaniert. Die jungen Ost-Racker haben für mich nur ein müdes Lächeln übrig. Auf der Tanke lachen mich unter den Autos diverse 4-Motion-Differentiale und 76er-Edelstahl an. Bis zum Dragstrip ist die ganze ARAL-Kavallerie aufgesattelt, hat mich mit einem Turbo-Atemzug überholt und eingenebelt in Chanel No. 102. Auf der Meile bekomme ich dann noch meine offizielle Klatsche. Woher haben die nur ihre Kennzeichen?

Diese Frage stellt man sich im Osten schon öfter. Umbauten, die keine Prüfstelle auf diesem Planeten normal begutachten würde, sind eingetragen. Naja, wo Trabis mit G40-Motor Volkssport waren, sind Festigkeitsgutachten eher was für Ängstliche. Man traut sich an Umbauten heran, die selbst Mc Gyver zu utopisch wären.

Angst ist beim heutigen „Ossi“ scheinbar sowieso ein Fremdwort. Die Leute gehen hier auf die Straße zum Protest und man muss den Kellner auch nicht diskret nach seiner politischen Meinung fragen. Man bekommt sie beim Frühstück aufs Brot geschmiert. Dass das Hotel die Missstände unseres Landes nicht noch in der Speisekarte aufzählt, wundert einen. Aber ich mag es. Offen und ehrlich.

Genauso so offen und ehrlich sind dann die Löcher in den Zufahrten zum Renngelände. Panzerplatte ist eben Panzerplatte. Es handelt sich meist um ehemalige Militärflugplätze und es fehlen auch gerne mal ganze Teile der Betonstraßen. Nur keinen Fehler jetzt. ADAC? Kein Empfang. Der AMC Dessau bietet ja auch Motocross an. Trainingsstrecke scheint hier die Zufahrt zum Flugplatz zu sein. Wer für seinen tiefergelegten Liebling keinen Trailer besitzt, wird an Harrys Schranke in die Schranken verwiesen.

Grundsätzlich muss man bei jeder Location im Osten von der Einfahrt aufs Geländes bis zum Erreichen des Fahrerlagers nochmal eine halbe Stunde einplanen. Zumindest, wenn man wie ich in dem Wirrwarr von NVA Pfaden einmal falsch abbiegt. In Allstedt stand ich nach 3 km Wald vor einem Sägewerk. Nett.

In Alkersleben war die Veranstaltung wiederum so erschreckend groß, dass geschulte Ordneraugen mich orientierungslosen „Wessi“ aus der Menge fischten. Ich war müde und hungrig, doch anstatt dieser verwahrlosten Person eine Decke über die Schulter zu legen und in ein Auffanglager zu bringen, erkannte man den Wahnsinn in meinen Augen: Sie führten mich zur Anmeldung. Als ich die Nenngebühr von ein paar läppischen Euro hörte, dachte ich endgültig, dass ich aufgrund meiner Dehydration schon halluziniere. Dafür darf man am Nürburgring noch nicht mal auf den Parkplatz. Und das ist keine Satire, sondern die Wahrheit.

Weitere Wahrheiten über den Osten und wie das dann bei den Rennen so ist, schreibe ich dann in Teil 2 nieder.

Bis dahin,

Euer Sascha

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