Kolumne Sascha Herrmann Teil 8

Sascha Herrmann Kolumne 8

Der Wilde Osten Teil 2

Hallo, der Sascha schreibt für uns zum achten Mal ein paar Zeilen. Er berichtet auf ähnlich informative und amüsante Weise auch in seinem Youtube Kanal „402 Germany“ vom Rennplatz. Immer subjektiv, immer hart am Gas. Lest nun, was sich weiterhin im Wilden Osten getan hat.

„Hallo Dragracer,

in Teil 1 meiner Folge hatte ich die Eindrücke meiner Wege durch den Osten unserer Race-Republik geschildert, jetzt kommen wir zu den Eindrücken von den Ladedrücken.

Eigentlich wollte ich ja abwarten, bis ich noch das zweite Rennen in Anklam bei Usedom gefahren bin, weil ich dortige Kuriositäten hier auch noch mitverwursten wollte. Aber der König von Pommerland hat mir einen Riegel vorgeschoben. Einreise nach Meck-Pom. verweigert, da nicht nur der Fahrersitz im Lupo Risikogebiet ist, sondern ganz Wuppertal. Okay, okay, ist ja nicht so, als hätte ich nicht einen Plan B in der Tasche gehabt. Verbindungen zu polnischen Abtauchwohnungsvermittlern in Stettin waren schon hergestellt, die Sache mit den gefälschten Kennzeichen kennen die ja eh schon und als Dienstfahrt-Nachweis hätte ich einen Hausmeisterjob im Tower vom Airport Anklam in Erwägung gezogen.

Jedoch: Beate zog die Notbremse. Sie war nicht bereit mich in einem eventuellen Quarantäne-Knast zu besuchen und stellte die Schlüssel vom Lupo sicher: “Jetzt reicht es, Du Spinner.“

Also hat es sich für dieses Jahr mit den neuen Bundesländern erledigt, sofern Harry nicht wieder ein Weihnachtsspecial mit Hammel und Hochprozentigem raushaut.

Fangen wir doch erstmal mit den ersten Eindrücken auf einer Viertelmeile im Osten an. Über die Anfahrt und Zufahrt habe ich in Teil 1 schon berichtet. Wie beschrieben kilometerlange verwirrende Pfade, die Zufahrt vom Airport Parchim hätte auch die vom Frankfurter Flughafen sein können, aber dafür kein Stau an der Kasse. Das haben sie drauf.

Außer man biegt ein zu Harrys Schanke, Entschuldigung Schranke. Stau auf der Landstraße? Das Ordnungsamt Zerbst weiß Bescheid, alles cool, Harry begrüßt mal wieder jeden Gast persönlich inklusive Pläuschchen. Und das ist auch gut so.

Nun kommen wir aufs Gelände. Jedes Mal denke ich, „Wie kann man so unendlich viel Platz haben?“ Vielleicht liegt es aber auch an meiner schweren Vergangenheit.

In den 90ern erste illegale Ampelrennen im engen Talkessel von Wuppertal, diesen abgeschworen und danach legal auf viel zu kurzen Pisten: Bei den 100 Metern auf Schalke wartete die Stadionmauer (immerhin Gummimatten), in Aldenhoven die Todeskurve, in Meschede eine Mutkuppe mit Überraschung dahinter, in Meinerzhagen im Auslauf immer eine Wagenburg von Startern, in Brilon kreuzt man ab 270 km/h die B7 und am Nürburgring hat man für das Sport 1 Drag Race direkt schon auf die 1/8 Meile verkürzt, weil einen das Yokohama S erwartet. Also viel Platz zum Spielen haben wir Wessis nicht.

Und dann komme ich in den Osten und es herrscht grenzenlose Freiheit. Dass ich so einen Satz mal schreiben würde. Kurios. Die Rückführung in Parchim war zum Beispiel so breit, dass dort 7 Autos nebeneinander abstimmten und testeten, ohne sich grüßen zu müssen.

Dann ein erster Blick in die Fahrerlager. Oh. Ich war nicht der einzige, der die Idee hatte, vor Coronas Wettkampfverboten in den Osten zu fliehen. Alles, was Rang und Namen hatte, war in Zerbst zum Beispiel vertreten. Und was die Jungs aus dem Osten selber betraf, muss man nicht meinen, dass die sich immer noch damit beschäftigen, Trabant-Rasenmähermotoren auf eiskalte 120 PS zu frisieren. VR6-Turbo hat man hier als Winterauto. Justin Hecht, Sohn des Cossy-Piloten Dirk, hat mit seinen zarten 15 Jahren als Anfängerauto standesgemäß einen Civic Turbo und zum Führerschein fällt die 9. Und so gab es in Merseburg in meiner 2,0T-Klasse erstmal einen ernüchternden Platz 11 von 16. Weisste Bescheid. Dabei sahen die Zeiten der Kontrahenten auf der Anzeigentafel erstmal gar nicht so wild aus. Mir hatte eben keiner gesagt, dass im Osten gerne mal die Brutto-Zeit eingeblendet wird.

Was diese Boost-Bösewichte da mit mir machten, klingt auch in Aliteration nicht erträglicher:

Perfide Performance Produkte plus perverse Panzerplatten pulveresierten Persönlichkeit. Meine.

Eine Zeitlang gelang es mir mich mit dem BMW in der Diesel Klasse zu verstecken und ein paar Pokale abzugreifen. Aber dann marschierten die Polen ein mit ihren Selbstnaglern, Schadstoffklasse SSL (Steinstaub-Lunge) und zeigten mir die Grenzen auf.

Selbst in den abgelegensten Ecken des Ostens gab es immer jemanden, der mir auf den Sack ging. In Anklam dachte ich mein kleiner schwarzer Lupo in schnell könnte die Herzen der Ossis erwärmen. Aber Waldeck mit seinem schwarzen Lupo 4×4 und 500 PS wartete schon. Und dann rutsche ich auch noch um eine Zehntel am dritten Platz vorbei. In Zerbst und Allstedt immer wieder die unvermeidlichen Allrad-Corsa mit Turbo und in Parchim wurde dann auch noch Freek mit seinem Corsa aus Holland importiert. Die Pokalerwartungen wurden nach unten geschraubt.

Dabei hätte ich seit Alkersleben 2016 wissen müssen, dass man da nicht spazieren fährt auf dem Strip. Viele böse Boliden waren im ehemaligen Meilen-Mekka Thüringens. Ich schien Glück jedoch zu haben. Ich erwischte einen niedlichen roten Fiat Cinquecento. Okay, sicherlich nicht die lahme 1000 Kubik Variante, natürlich ein 1,2 Turbo mit… ach lass ihn mal 1 bar fahren mit irgendwas um die 15 Sekunden. So war meine siegessichere Einschätzung. Es konnte ja keiner wissen, dass der bärtige Geselle Michael Hädicke war, der hier zur Sicherheit mit zwei Motoren fuhr (Ein Triebwerk kann ja immer mal ausfallen) und immer mit Allrad (die Winter im Osten sind hart). Für ihn geht alles unter 2 bar Ladedruck als Motorschaden durch. Er haute mir eine 11,irgendwas um die Ohren und lachte sich über ein weiteres ahnungsloses Wessi-Opfer schlapp. Als ich mir seinen Dirty Driver anschaute, hatte ich eine Vorahnung, was mich da im Osten noch erwarten würde an der Ampel.

Erfinderisch sind die Jungs aus den NBL, plötzliche Widrigkeiten bringen keinen Ossi aus der Ruhe, man hat immer einen bescheuerten Einfall, der sich im Nachhinein als ziemlich geil raustellt.

Ampel wird von strikten DHRA Ordnern stillgelegt, wegen Rain Out? Dann wird halt per Händeklatschen weitergestartet. Ampel fällt aus wegen Rain Drauf?  Dann wird eine Pylone fallen gelassen als Signal. Ampel unerwünscht wegen mehr more Drama beim Cash Day? Dann läuft der Starter auch mal todesmutig mit einer Taschenlampe vor den Autos her.

Zuviel technischer Ausfall am Finaltag? Dann wird einfach der Modus geändert und aus E1 wird Q5.

Dank meiner Reisen in den Osten hatte ich jetzt glaube ich alle Austragungsmodi, die ein Drag Race überhaupt nur haben kann. Zeitenklassen mit Breakout-Löschen, Zeitenklassen ohne Breakout-Löschen, Zeitenklassen in Netto, Zeitenklassen in Brutto. Das Ganze dann jeweils mit oder ohne Finalrunde. Nicht zu verwechseln mit dem DMSB-Modus, wo der Fahrer seinen Index variabel selber wählt. Das gab es natürlich auch noch zusätzlich.

War das ein schönes vertrautes Gefühl in Merseburg, als Gustl hier stoisch seinen altbewährten Hubraum-Netto-Zeiten-Modus durchzog. Als ich dann wieder seine bekannte Stimme während der üblichen  Dankesrede vor der Siegerehrung hörte, muss ich zugeben: Ein Gefühl von Race@Airport Bottrop kam auf, Heimat!

Abends galt es die verstörenden Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Allerdings wird es auch noch lange dauern, um die nächtlichen Bilder aus dem Partyzelt eines schnellen Corsafahrers in Zerbst zu vergessen. Hier war das Team nicht nur dafür da, Zehntel auf der Viertelmeile zu vernichten, sondern auch Bier. Ich streifte nachts durch das stockdunkle Fahrerlager, auf der Suche nach netten Gesprächen und entschied mich für das Zelt mit der lautesten Musik. Wahrscheinlich um die Hilfeschreie der Crewmitglieder zu überdecken, die morgens gegen 3 um Gnade winselten. Aber der Teamchef war hart: Der Alkoholanteil im Blut muss mit dem im Sprit übereinstimmen. Ich war das Opfer, welches den Reißverschluss vom Zelt öffnete, den Kopf hineinsteckte und fragte:“ Ist hier noch was los?“ Fataler Fehler. Und welche Reißverschlüsse in dieser Nacht sonst noch geöffnet wurden? Keiner. Wir sind ja nicht in Alkersleben.

Die Nächte bei Hinkels Halligalli-Hotspot würden für eine komplette Kolumne reichen. Speeddating bei den Speeddays. Im Kornfeld.

Okay, Zensur und schwarzer Balken jetzt. Hier hatte ich zumindest mein erstes Speeddate mit der thüringer Verkehrspolizei. Dass ich komplett beklebt mit Werbung, Startnummer und Rennreifen mit meiner Vorderachse auf einer Bodenwelle in der Altstadt gestrandet war, ging noch gut aus. Dass ich den Polizisten dann wegen seiner Sprache auslachte, ging nicht gut aus. Als ein 2-Meter-mal-2-Meter-Ost-Polizist seine blaue Sonnenbrille von seinem kahlrasierten Kopf abnahm und dann in bestem Sächsisch sagte:“ Güdn Toch!“, da war es vorbei bei mir. Die zweite technische Abnahme an diesem Tag.

Bis dann, Euer Sascha“

Dem ist nichts hinzuzufügen… bin schon auf die nächsten Schreibattacken gespannt, bzw Videos.

Markus

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