Kolumne Sascha Herrmann #10

Sascha Herrmann – Kolumne Nr. 10

NitrolympX

Hallo Dragracer,

seid Ihr schon raceready? Bald beginnt die neue Saison, als Einstimmung berichte ich in dieser Episode über meine Eindrücke bei DER deutschen Dragracing Veranstaltung schlechthin: Hockenheim. Nach zwei nitrolosen Jahren soll es endlich wieder soweit sein.

Ich werde nie meinen ersten Besuch dort vergessen. Es war 2017. Die Nachricht. Das Angebot. Eine uns allen bekannte Veranstalterin, die mit Bitburg einen Meilenstein in Deutschlands Viertelmeilehistorie mitverantwortet, schreibt mir. Es könne ja nicht angehen, dass ich als Streckensprecher meiner wilden Public Race Orgien keine Ahnung vom echten Dragracing hätte. Ich solle mir mal die Nitros ansehen. Meine Antwort zu diesen raketengetriebenen Drahtgestellen mit Bremsschirm war kurz und eindeutig: Kein Kennzeichen, kein Interesse. Sie versuchte mich dann zu locken: „Du lernst Benni kennen und kannst sehen wie Profis V8-Motoren in wenigen Minuten revidieren.“

Meine schwachsinnigen Gedanken: Benni? War das nicht der Typ mit der roten Cap, der mich am Mikro in Bitburg mit Maik Harder anmoderierte, mit einem Feuerwerk an Emotion wie der Kommentator einer Schach WM? Da ich mich auch eher für deutsche vierzylindrische Ingenieurskunst mit Endzeit-Ladedruck interessierte als für Hubräume aus dem Wilden Westen und die schraubenden Mechaniker vorrausichtlich auch nicht schwitzende Bikini-Babes sein würden, holte dieses Angebot mich nicht wirklich ab. Zumal ich bis zum Abitur in Chemie in verlässlicher Kontinuität einen Defizitkurs mit einem Gnadenpunkt kassierte und wahrscheinlich keine Ahnung haben würde, welche CH3NO2-Derivate mir hier blühten. Ich war mit meinem E85-Süppchen zufrieden, welches ich eigenhändig in meiner Garage zusammenbraute und wollte sowas nicht wissen.

Wie jetzt? Und starten dürfe ich da mit dem Polo oder Lupo auch nicht? Und erst recht nicht mit dem BMW? Was ist das denn für ne blasierte Veranstaltung? Dachte ich mir so. Dann sagte sie mir aber die entscheidenden Worte: „Du darfst auch in die Sprecherkabine.“. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich schon, wie ich dem amtlichen Benni das Mikro aus der Hand reiße und 30.000 Zuschauer vor dem Start einpeitsche und mit eiskaltem Sportsman-Wissen begeistere. Ich nehme es vorweg: Ich habe mich unauffällig in einer Ecke seines Towers versteckt, mir in die Hose geschissen und gehofft, dass keiner von seinen englischsprechenden Co-Moderatoren fragt, wer der Penner mit dem EFR-Shirt sei…

Vor dem Monitor beobachtete ich das Treiben. Ich zweifelte, ob die Jungs denn die vorletzte Lichtschranke richtig platziert hätten, könne ja nicht sein, dass da einer mit den komischen Karren 450 km/h fahre. Und ich stellte fest, dass Benni eigentlich fast alles weiß.

Aber fangen wir mit dem Besuch von vorne an. Bei einem meiner Lieblingsrennen Race@Airport in Bottrop steht an der Landstraße ein Hinweisschild: „Großveranstaltung“. Sorry, Gustl, den Begriff musste ich auf dem Marsch zum Eingang der Nitros neu einsortieren. Allein schon das riesige Camping Areal ließ die Dimension erahnen. Zu den bittersten Momenten in meiner Dragracing Geschichte zählt, als ich nach 20 Minuten Marsch am Eingang merkte, dass meine Karte noch im Auto lag.  Hellwach war ich auf einen Schlag, als ich völlig unvorbereitet und ahnungslos endlich das weite Rund des Innenraums betrat und genau in diesem Augenblick passierten zwei Dinge gleichzeitig: Karl Geiger stand in der Menge plötzlich vor mir und ein Top Fuel Monster vollstreckte zeitgleich seinen Burn Out. Wegen letzterem flog mir vor Schreck das Handy aus der Hand. Geiger hielt sich wahrscheinlich in dem Moment für Gott. 😊

Meine Ohren kannten als akustische Eskalation bisher nur die vorbeifliegenden Flitzer vom 24-Stunden-Rennen oder den ein oder anderen, der in letzter Konsequenz auf dem Strip seinen Endpott demontiert. Hier und da mal Rohre aus Motorhaube und ein wenig Knattern. Aber was zur Hölle war das für ein Inferno? Das war kein Lärm, das war der Weltuntergang! Aber ein geiler.

Bei der EFR sind Einlass, Vorstart und Track sofort zu erkennen und mit ein paar Schritten zu erreichen. In Hockenheim war ich mir nicht sicher, ob ich schon im Fahrerlager bin oder mitten in der Loveparade. Ich sah einfach nur Menschen, Verkaufsstände und nochmals Menschen. Uninformiert wie ich war landete ich natürlich am Mercedes-Stern. Nach dem Weg fragen wollte ich niemanden, denn mit dem Tinitus im Ohr glaubte ich meine eigene Stimme nicht mehr zu hören.

Irgendwie, kam ich an den Teams mit eigener Box vorbei. Ich hatte mich bis dahin für einen mega Profi gehalten, da ich vor dem Rennen unter den strengen Augen von Beate meine Räder tauschte ohne nervös zu werden. Hier wechselten tätowierte Schränke vor laufenden Kameras und drängelndem Publikum Zylinderköpfe und gaben dabei Interviews. Man war hier besser ausgerüstet als jeder Vertragshändler, sechs, sieben Mechaniker für ein Auto, Catering Service on top. Es fehlte eigentlich nur, dass jedes Team eine eigene Rockband zur musikalischen Untermalung gehabt hätte.

Ich musste zur Strecke. Und zwar sofort. Ich wollte sehen, welche Ungetüme einen derartigen Dezibel-Terror auslösen. Zack durch den Vorstart, die Pit Marshalls akzeptierten mein Ich-will-mal-Glotzen-Ticket, da stand tatsächlich eine Couch. Bevor ich diese einem bestimmten Möbelhaus zuordnen konnte, wurde ich blind. Spritwölkchen? Wohl eher ein kompletter ABC-Alarm in meiner Lunge. Ganz Hockenheim schien unter einer Glocke von Flugzeugabgasen zu liegen, meine Kontaktlinsen schwammen nicht mehr auf Tränenflüssigkeit, sondern auf Nitro.

Wer jemals einen Top Fueler aus nächster Nähe hat starten sehen, lacht sich kaputt über einen Golf GTI, der mit seiner Launchcontrol auf einem Aldi-Parkplatz die Tuninggirls beeindrucken will. Aber wer bitte startet mit so einer Boden-Boden-Rakete? Ich erwartete einen vernarbten alten Tornado-Haudegen der US Army. Auf der TV-Tafel sah ich dann im Interview eine junge Blondine aus der Schweiz, ich glaubte an gar nichts mehr.

Ich nahm auf der Tribüne Platz, um die fünf Sekunden auf der Anzeigentafel optisch einordnen zu können. Und dann die ganzen dämlichen Fragen, die mir im Kopf herumspukten: Was machen die da mit den Handtüchern? Warum fahren die beim Burn Out die halbe Strecke ab, wissen die noch nicht, wo es lang geht? Warum liegt die sich das Team trotz gefahrenem Rotlicht vor Freude in den Armen?

Und wieso wird da jetzt die Strecke verkürzt? Müssen wir gleich runter, weil die Segelflieger kommen wie in Brilon? Zumindest wurde mir klar, dass ich der einzige Idiot im weiten Rund bin, der keine Micky Mäuse trug und vor allem sich die diese Fragen stellte. Bei der Klamottenwahl der Fans zeichnete sich eine klare Hierarchie ab: Plicht schien ein Nitrolympx T-Shirt der letzten 15 Jahre zu sein, darüber die Leute mit aktuellen Shirts. Aber ganz vorne war man dann doch mit Santa-Pod-Soft-Shell. Das zeigt Dragrace Erfahrung und dass man bereit ist, für diesen Sport sogar über den Teich zu springen.

Viele Fahrzeuge zwangen mich, meine 402 Meter lange Welt neu zu ordnen.

Käfer kannte ich bisher nur als hochdrehende 60-Fuß-Schreihälse, deren Gewichtsvorteil bei 160 km/h aufgebraucht war. Hier rissen sie sich bei diesem Tempo nochmal die Klamotten vom Leib und die Krabbeltiere mit Waschtrommel-Ladern nachzuschärfen war auch kein Tabu mehr. Dass der weiße Rektol-Käfer jedoch als reiner Sauger unterwegs war, gelangte jedenfalls in jede einzelne Ohrmuschel im weiten Rund des Motodroms.

Ich hatte mein Agieren auf der Strecke mit Polo und Lupo immer als Viertelmeile-Rennen bezeichnet, als ich sah dass die Pro Mods die gleiche Strecke in der Hälfte der Zeit abrissen und dabei doppelte Geschwindigkeit erreichen, stufte ich mein Handeln herunter auf Viertelmeile-Youngtimer-Ausfahrt mit Zeitmessung. Naja, klar, wir haben alle klein angefangen. Wo es die Champions League gibt, muss es ja auch eine Kreisliga geben, dachte ich mir.

Dann hörte ich zwei Zuschauer, die über die technischen Anforderungen und Gewichtsgrenzen in Competition Eliminator diskutierten. Competition was? Ein neues Spiel für die Wii? Nachdem mir klar wurde, dass es um ein Regelwerk für eine Fahrzeugklasse ging, hielt ich mir noch einmal das irrsinnig komplexe Regelwerk und die erforderlichen Kenntnisse an die Fahrer meiner EFR vor Augen: Fahrzeugschein hinlegen, Haftungsausschluss unterschreiben, viel Spaß!

Ich entschloss mich daher, falls mich im Fahrerlager einer fragte, ob ich auch Rennen fahre, dies zu verneinen und mich als Tourist auszugeben. Doch zu spät: „Hey, Du bist doch der Typ, der in Bad Sobernheim mit brennendem Motor vor der Feuerwehr abgehauen ist!“ hallte es durch die Gasse. Och nö. Man kannte mich. Immerhin legte man mir meinen Bildungstrip nach Hockenheim positiv aus und ein paar Profifahrer meinten in mir dieselbe Drag-Sucht zu erkennen, mit der meist alles begann: Einigen war es aufgefallen, dass ich mit der alten Polo-Möhre vollgepackt mit Ethanol-Kanistern auch schon in Bitburg angekrochen kam und als Kalunki mir in Hockenheim meine Kurzärmlichkeit vergab, war ich tatsächlich gerührt.

Insgesamt war ich doch sehr überrascht wieviel Public Racer Kollegen ich dort in der Menge wiederentdeckte. Kaum zu glauben, da fährt man jahrelang gegeneinander und kein Schwein sagt mir, dass hier die echte Party steigt. Golf VR6 fahren und heimlich Funny Car geil finden, so läuft das wohl.

Abends in Hockenheim war es toll. Die Atmosphäre. Ohne Worte. Ich kam eigentlich nie an, egal wo ich hinwollte. Ständig entdeckte man jemanden aus der Szene, festquatschen auf ein Bier und weiter.

Und hier merkte ich das Entscheidende, was ich mit nach Hause nahm: Niemand war scheisse zu mir oder arrogant, weil ich damals absolut ahnungslos war und einen Lupo fuhr.

Es ist am Ende halt auch eine große Familienfeier.

Bis dahin,

Eurer Sascha

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